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„Faszinierend und beängstigend zugleich“

Das HU-Institut IRI THESys präsentiert im Humboldt Labor Forschungsprojekte aus einer vernetzten Welt

Eine multimediale Weltkarte steht im Zentrum der Ausstellung – so groß, dass sie mit einem Blick kaum zu erfassen ist. 35 mal sechs Meter soll die Forschungswand messen, auf die in der Schau der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) im Humboldt Labor eine Ansicht der sich drehenden Erde projiziert wird. Sie gibt Einblicke in die Forschungsprojekte des interdisziplinären HU-Instituts IRI THESYS. Bananenplantagen in Laos, Moore im Spreewald, Grasland in Uruguay oder Naturkatastrophen in Ghana: Die Karte führt an Orte, zu denen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler forschen. „Wir begleiten sie bei der Konzeption, Umsetzung und Auswertung ihrer Forschung und stellen sie und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Besucherinnen und Besuchern des Humboldt Forums vor“, erklärt Dr. Gorch Pieken, Kurator der Ausstellung, die sowohl von den Berliner Exzellenzclustern als auch von Instituten und Fachbereichen der Humboldt-Universität mitgestaltet wird.

Das 2013 gegründete Institut IRI THESys spielt dabei eine zentrale Rolle. IRI THESys steht für „Institute on Transformations of Human-Environment Systems“, also Veränderungen von Mensch-Umweltsystemen. Sechs Forschungsgruppen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Disziplinen Geografie, Agrarwissenschaften, Europäische Ethnologie, Philosophie und Wirtschaftswissenschaften arbeiten dort zu Nachhaltigkeit, Klimawandel, Landnutzung und dem Rückgang der Biodiversität.

Wie können Städte grüner werden?

Diese zentralen Herausforderungen des Anthropozäns, des maßgeblich vom Menschen beeinflussten Zeitalters, stehen im Zentrum der Ausstellung der HU im Humboldt Forum. Auf der virtuellen Weltkarte verbergen sich auf verschiedenen Ebenen Informationen. Kameras filmen Besucherinnen und Besucher und registrieren, für welche Fragen sie sich besonders interessieren.

Bei einigen Forschungsprojekten stehen lokale Phänomene im Mittelpunkt, bei anderen der übergeordnete Blick auf eine vernetzte Welt. Wie beides zusammenhängt, visualisiert die Weltkarte über Verbindungslinien und Sichtachsen. Ländliche und urbane Strukturen sind dabei gleichermaßen von Interesse. Die Geografin, Biologin und Ökologin Dr. Ina Säumel beschäftigt sich unter dem Titel „essbare Städte“ mit urbaner Landwirtschaft. Dieser Trend lasse sich etwa an Dachgärten oder vertikal begrünten Flächen erkennen, erzählt Anne Dombrowski, Wissenschaftskommunikatorin am IRI THESys. „Zentrale Fragen sind: Wie können Städte grüner werden? Wie können sie unabhängiger vom Land werden? Und was bedeutet urbane Landwirtschaft für unser Lebensgefühl?“

„Wir wollen die Debatte demokratisieren“

Auch Projekte von Professor Dr. Jonas Ø. Nielsen werden in der Ausstellung zu sehen sein. Der Professor am Geographischen Institut der HU und Forschungsgruppenleiter am IRI THESys beschäftigt sich mit Veränderungen globaler Landnutzung. Warum pflanzen Bäuerinnen und Bauern Bananen statt Reis oder roden Regenwald, um Palmöl-Plantagen anzulegen? Diese Fragen ließen sich nicht allein auf lokaler Ebene beantworten, betont Jonas Nielsen. „Änderungen in der Landnutzung sind oft von Faktoren, Organisationen, Ideen und Diskursen bestimmt, die woanders auf der Welt beheimatet sind.“ Diese Entkopplung von Produktion und Entscheidungsprozessen erforschen Nielsen und sein Team mithilfe eines „Telecoupling“ genannten Ansatzes, der ursprünglich aus der Klimaforschung stammt. Das Konzept gehe davon aus, dass es eine räumliche Distanz zwischen Landnutzung und Entscheidungsträgern gibt – und dass diese Sphären über diese Distanz hinweg verbunden sind. „Was auf einem kleinen Stück Land passiert, erklärt Globalisierung.“

„Die Ausstellung wird diese Verbindungen aufzeigen“, sagt Nielsen und nennt ein Beispiel: Die deutsche Schweinefleischproduktion wird durch die Nachfrage in Asien beeinflusst. Die Produktion in Deutschland wirkt sich wiederum auf den Anbau von argentinischem Soja aus, das deutschen Schweinen als Futter dient. Was häufig außerhalb des Blickfelds bleibe, seien sogenannte Spill-Over-Effekte, also Auswirkungen auf Orte außerhalb der direkten Wertschöpfungskette, erklärt der Professor. Das zeige sich am Beispiel biologisch produzierter Ananas aus Costa Rica. Diese werden auf Paletten ausgeliefert, die aus kolumbianischem Regenwaldholz gemacht sind. Um über nachhaltige Produktion urteilen zu können, müssten auch solche Faktoren berücksichtigt werden, betont der Geograf. Als Beispiel für die Vernetzung der Welt werden in der Ausstellung auch Satellitenfilme vom globalen Schiffsverkehr gezeigt. „Die Schiffsrouten sehen wie gewaltige Ameisenstraßen aus. Faszinierend und beängstigend zugleich“, sagt Gorch Pieken.“

Forschungsergebnisse werden nicht einfach nur dargestellt – auch die aus ihnen folgenden normativen Fragen sollen diskutiert werden, sagt Jonas Nielsen: „In welcher Art von Welt wollen wir leben? Wie wollen wir unser Land nutzen? Welches System brauchen wir, um das zu erreichen?“ Für viele Menschen sei es einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus. Die Entscheidungen, welche Konsequenzen aus den Forschungsergebnissen gezogen werden, könne die Wissenschaft jedoch nicht alleine treffen. Hierbei sei die Gesellschaft gefragt, betont der Professor. „Wir wollen die Debatte demokratisieren.“ Dafür sei eine solche Ausstellung ein tolles Podium, sagt Anne Dombrowski. Dem Institut sei wichtig, dass die Dringlichkeit der Fragestellungen vermittelt werde. Gleichzeitig sollen Besucherinnen und Besucher nicht entmutigt werden. Schließlich geht es um die Ausrottung von Arten, Entwaldung und Massenkonsum. Die größte Herausforderung sei, dass die menschengemachte Zerstörung der Welt dargestellt wird, sagt Jonas Nielsen. Als Individuum könne man sich in globalen Zusammenhängen schnell verlieren. Die Ausstellung aber solle zeigen, dass einzelne Menschen durchaus etwas tun können. „Wir wollen nicht nur mit dem moralischen Zeigefinger drohen, sondern auch Geschichten der Hoffnung erzählen“, betont Anne Dombrowski.