Ein 200 Jahre altes Alpen-Relief trifft auf eine interaktive Virtual-Reality-Installation. Während der Berlin Science Week wurden zum ersten Mal das historische Aletsch-Modell aus dem Berliner Humboldt Forum und das VR-Projekt „Expedition 2 Grad“ der Universitäten Zürich und Fribourg und der Zürcher Hochschule der Künste gemeinsam ausgestellt. Sie zeigen eindrücklich den Großen Aletschgletscher – den größten Gletscher der Alpen – als Fieberthermometer des Klimawandels. Im Anschluss an die Berlin Science Week wird die Installation dauerhaft im Humboldt Labor gezeigt.
Über eine Fläche von mehr als 100 Quadratkilometern erstreckte sich der Große Aletschgletscher im schweizerischen Kanton Wallis Anfang des 19. Jahrhunderts. In dieser Zeit erstellte der Reliefbauer, Topograf und leidenschaftliche Bergsteiger Joachim Eugen Müller aus Gips und Holz ein Reliefmodell der Schweizer Alpen von fast 5 mal 2,5 Meter Fläche. Auf Anraten unter anderem auch von Alexander von Humboldts kaufte der begeisterte König Friedrich Wilhelm III. von Preußen dieses Alpenmodell und stellte es als Hauptattraktion in der Berliner Kunstkammer im Berliner Schloss aus. Für das wissenschaftsinteressierte Berliner Bürgertum war der Blick auf die Alpen aus der Vogelperspektive eine Sensation. Nach Auflösung der Kunstkammer verliert sich zunächst die Spur des Modells. Ein Teilstück, welches das obere Rhonetal mit Simplonpass und Aletschgletscher darstellt, schlummerte lange Zeit unerkannt in der Geomorphologisch-Geologischen Sammlung des Geographischen Instituts der Humboldt-Universität zu Berlin. Erst die Kunsthistorikerin Eva Dolezel und der Schweizer Reliefexperte Oscar Wüest fanden 2017 bei der Untersuchung des Modells heraus, dass dieses tatsächlich früher Teil des großen Alpenreliefs der Berliner Kunstkammer war.
Seit 2020 ist das Aletsch-Modell zurück im rekonstruierten Berliner Schloss. Auf der Fläche des Humboldt Labors im Humboldt Forum ist es im Rahmen der Dauerstellung „Spuren. Geschichte des Ortes“ wieder für ein breites Publikum zugänglich. „Das Modell zeigt uns die Materialität und Medialität der Wissenschaftsvermittlung vor zweihundert Jahren, als die ‚Versinnlichung‘ von Wissen hoch im Kurs stand. Gleichzeitig ist der Inhalt hochaktuell: „Der zeitlich eingefrorene Zustand der Gletscher des Reliefs zeigt im Vergleich zu heute deutlich die Auswirkungen des Klimawandels“, erklärt Johanna Stapelfeldt, Kuratorin für das Humboldt Labor.
So wie Joachim Eugen Müller vor 200 Jahren händisch ein damals hochmodernes Medium zur Vermittlung von Wissen modellierte, haben Designer:innen, Geograf:innen und Glaziolog:innen nun mit der VIRTUAL-REALITY-INSTALLATION „EXPEDITION 2 GRAD“ erneut eine innovative Installation geschaffen, mit der Wissenschaft sinnlich erfahrbar wird. In einem interdisziplinären Projekt, das in Zusammenarbeit zwischen den Universitäten Zürich (UZH) und Fribourg (UniFR) sowie dem Fachbereich Knowledge Visualization der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) entstanden ist, können sich Besucher:innen mithilfe einer VR-Brille auf eine immersive Expedition in die Gegend rund um den Großen Aletschgletscher begeben. Dabei können sie mit dem Gletscher durch die Zeit reisen und erleben, welchen Umfang der Gletscher früher hatte, wie er heute aussieht und wie stark er in hundert Jahren geschrumpft sein wird, wenn die Erde sich um zwei, drei oder vier Grad erwärmt hat. Entstanden ist das Projekt in der Zusammenarbeit der ZHdK gemeinsam mit dem Departement für Geowissenschaften der Universität Fribourg und dem Geographischen Institut der Universität Zürich. Die virtuelle Realität (VR) basiert auf hoch aufgelösten Luftbildern, digitalen Geländedaten und modellierten Prognosen zum Gletscherrückgang basierend auf Klima-Szenarien.