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© Fernando Sánchez Castillo / Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss / digitale Reproduktion: Philipp Jester | Jens Blank

Jadegrüne Armee aus Freiheitskämpfern

Im Humboldt Labor zeigt der spanische Künstler Fernando Sánchez Castillo kleine Figuren, die den „Tank Man“ darstellen, eine Ikone der Demokratiegeschichte. 1989 stellte sich der junge Mann bei den Studierendenprotesten auf dem Tian’anmen-Platz einer Reihe von Panzern in den Weg.

Ein schmaler Mann in weißem Hemd, in einer Hand trägt er eine Tasche, in der anderen seinen Mantel. Schutzlos stellt er sich auf dem Tian’anmen-Platz in Peking einer Reihe von auffahrenden Panzern in den Weg. Fotos und Filmaufnahmen dieses bis heute nicht eindeutig identifizierte, „Tank Man“ (Panzer-Mann) genannten Aktivisten gingen 1989 um die Welt.

Das ikonographische Bild des einzelnen, friedlichen Protestierenden, der eine Panzerkolonne aufhält, inspirierte auch den spanischen Künstler Fernando Sánchez Castillo. Eine Heer seiner kleinen, jadegrünen Tank-Man-Figuren mit ihren unerschrocken erhobenen Köpfen wird Teil der Ausstellung im Humboldt Labor sein.

Castillo arbeitet seit vielen Jahren mit dem Motiv des Tank Man. Seine kleinen Figuren inszeniert er als pazifistische Armeen – wie bei der Arbeit „Made in China“, die er 2015 für das Dresdener Albertinum geschaffen hat. Die Figuren ließ der Künstler als angebliches Kinderspielzeug in China produzieren. Neben den Miniaturen ist im Laufe von Castillos Auseinandersetzung mit dem Protestierenden auch eine mehr als fünf Meter große Skulptur entstanden.

Der 1970 in Madrid geborene Künstler interessiert sich für Fragen von Demokratie, Diktatur, der Kraft des Einzelnen und der Macht von Bildern. Er übersetzt Momentaufnahmen historischer Ereignisse in künstlerische Arbeiten, um Diskussionen über heute noch aktuelle Fragen anzustoßen.

Wie im Dresdener Albertinum dienen die Tank-Man-Figuren im Humboldt Labor, der Schau der Humboldt-Universität im Humboldt Forum, nicht als unbewegliche, permanente Ausstellungsobjekte. Besucherinnen und Besucher werden eingeladen, ihre Gedanken zu Demokratie und Menschenrechten auf selbstklebenden Zetteln zu notieren. „Wer einen Gedanken dalässt, kann im Tausch eine Figur mitnehmen“, erzählt Dr. Gorch Pieken, leitender Kurator der Ausstellung. Das gehe so lange, bis der letzte von 5000 Tank Men aus der Vitrine genommen sei. Jede Figur symbolisiert einen bei den Protesten ums Leben gekommenen Demonstrierenden. Die Vitrine, in der die Figuren ausgestellt werden, wird so zum partizipativen Ausstellungsobjekt, an dem nach und nach immer mehr Ideen kleben.

Ikone der Demokratiegeschichte

„Der Tank Man ist eine wichtige Ikone der Demokratiegeschichte,“ sagt Gorch Pieken. Hunderttausende junge Menschen demonstrierten 1989 in Peking für politische Transparenz, Bürgerrechte und ein Ende der Korruption. Am 3. und 4. Juni ließ die Regierung am Tian’anmen-Platz Panzer auffahren und in die Menge schießen. Nach wie vor sei unklar, wie viele Menschen damals ums Leben kamen, sagt Pieken. Schätzungen gehen von mehreren Tausend Toten aus.

2019 jährte sich das Massaker zum 30. Mal – doch pro-demokratische Bewegungen und staatliche Gewalt stießen nicht nur in der Vergangenheit aufeinander. Im Gegenteil: 2019 wird auch als „Jahr der Proteste“ bezeichnet. In vielen Ländern und Gegenden der Welt – von Venezuela über Iran bis nach Hongkong – flammten Kämpfe für Demokratisierung, soziale Gerechtigkeit und Meinungsfreiheit auf. Der Tank Man ist damit nicht nur ein Symbol für die Vergangenheit, sondern auch für die Gegenwart.

Die Möglichkeiten, Proteste zu kontrollieren und zu unterdrücken, haben sich im Vergleich zu 1989 verändert. Das Internet dient als Kontrollinstrument. Software zur Gesichtserkennung oder Handy-Bewegungsmuster werden zur Überwachung der Bevölkerung – nicht nur in China – eingesetzt, betont Gorch Pieken. Zunehmend würden Individualrechte, Menschenrechte und Demokratie in vielen Regionen der Erde angefochten. Mit den „Contestations of the Liberal Script“ befasst sich der gleichnamige Exzellenzcluster von Freier Universität und Humboldt-Universität im Humboldt Forum. Dabei geht es auch um den Tank Man – und beispielsweise seine Rolle bei den Protesten für demokratische Rechte in der Sonderverwaltungszone Hongkong im Jahr 2019.

Was 1989 mit dem jungen Mann geschah, der sich den Panzern entgegenstellte, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. In China ist die Erinnerung an die Proteste von 1989 verboten, Zuwiderhandlungen würden streng bestraft, berichtet Gorch Pieken. Wachgehalten wird die Erinnerung an ihn durch Protest- und Kunstaktionen – wie Fernando Sánchez Castillos Figuren-Aktion im Humboldt Labor. „Im Humboldt-Labor hat der Tank Man aber nicht nur eine memorierende, sondern auch eine appellierende Funktion, Menschen in Notlagen beizustehen. Und die Forderung nach Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit für alle Menschen in allen Regionen der Erde zu unterstützen“, sagt der Kurator.

© Fernando Sánchez Castillo / Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss / digitale Reproduktion: Philipp Jester | Jens Blank