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Herausforderungen für die liberale Demokratie

Im Humboldt Labor beschäftigt sich der Exzellenzcluster „Contestations of the Liberal Script“ (SCRIPTS) der Freien Universität Berlin mit den Versprechen der liberalen Ordnung: Worin bestehen sie? Mit welchen Problemen und Konflikten gehen sie einher? Und wie reagieren liberale Demokratien auf aktuelle Herausforderungen wie die Corona-Pandemie? Sind Populisten oder autoritär regierte Staaten doch die besseren Krisen-Manager?

Die Corona-Pandemie stellt alle Staaten vor Herausforderungen. Die Reaktionen aber sind unterschiedlich. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Berliner Exzellenzcluster „CONTESTATIONS OF THE LIBERAL SCRIPT“ (SCRIPTS) untersuchen, wie unterschiedliche politische Systeme mit der Krise umgehen. Denn der Cluster beschäftigt sich mit Herausforderungen und Auseinandersetzung rund um die liberale Demokratie.

Welches Selbstverständnis das „Liberal Script“ vertritt, was es verspricht – und warum es fragiler ist, als viele annehmen, soll im Humboldt Labor, den Ausstellungsräumen der Humboldt-Universität im Humboldt Forum, diskutiert werden.

Das liberale Skript ist ein Ordnungsmodell, das seit dem Ende des 18. Jahrhunderts mit anderen Skripten konkurriert, erstmals nach dem Ende des Kalten Krieges dominant wurde und nach Ansicht vieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler alternativlos erschien – aber heute vor neuen Herausforderungen steht. „Es bietet das Drehbuch dafür, wie wir uns als Gesellschaft organisieren“, erklärt Prof. Dr. Michael Zürn vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), der den Exzellenzcluster mit der Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Tanja Börzel von der FREIEN UNIVERSITÄT BERLIN leitet.

Politische und gesellschaftliche Dimensionen in globalen Problemen

In der Ausstellung soll SCRIPTS eine zentrale Rolle spielen – in Verbindung mit IRI THESys, dem Integrativen Forschungsinstitut der Humboldt-Universität, das Transformationen von Mensch-Umwelt-Systemen erforscht. „Gemeinsam repräsentieren sie die beiden Kulturen der Wissenschaft“, sagt Dr. Gorch Pieken, Leitender Kurator des Humboldt Labors. Die naturwissenschaftliche, durch IRI THESYS vertretene, Herangehensweise wird mit der sozialwissenschaftlichen Perspektive von SCRIPTS verknüpft. Antworten auf globale Probleme wie die Klimakrise oder den Rückgang der Biodiversität ließen sich nur finden, wenn ihre politischen und gesellschaftlichen Dimensionen berücksichtigt werden, betont der Kurator. Thematisiert werden solche zentralen Herausforderungen der Gegenwart an einer rund sechs Meter hohen und 25 Meter breiten kinetischen Wand. Sie besteht aus beweglichen und ausfahrbaren Rollos, auf die Videos, Bilder, Weltkarten und Datenvisualisierungen projiziert werden.

SCRIPTS zeige Video-Interviews, in denen ein Teil der 38 Professorinnen und Professoren aus 17 unterschiedlichen Disziplinen zu Wort kommt, berichtet Cordula Hamschmidt, Koordinatorin des Knowledge Exchange Labs des Exzellenzclusters, die die Ausstellungspräsentation von SCRIPTS betreut. SCRIPTS ist ein Projekt der Freien Universität Berlin in Kooperation mit der Humboldt-Universität. Beteiligt sind außerdem das Wissenschaftszentrum Berlin, die Hertie School, das Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, das German Institute of Global and Area Studies sowie das Leibniz-Zentrum Moderner Orient.

Die Versprechungen der liberalen Demokratie

Der noch junge Exzellenzcluster präsentiert im Humboldt Labor vor allem Methoden und Denkansätze. Im Zentrum stehen die Versprechen des liberalen Skripts: Freiheit, Gleichheit, Fortschritt, Rechtssicherheit, die Beherrschung der Natur zur Herstellung von Sicherheit – und die Ausbeutung der Natur zur Herstellung von Wachstum und Wohlstand. „Das ist unser Erzählgerüst“, erklärt Hamschmidt.

Das liberale Ordnungsmodell war immer wieder Veränderungen unterworfen und stand vor vielfältigen Herausforderungen – beispielsweise durch den Faschismus oder den real existierenden Sozialismus. In der Ausstellung sollen Entwicklungen, innere Widersprüche und Anfechtungen von außen thematisiert werden.

„Ich glaube, die generelle Botschaft ist, dass das liberale Skript nicht nur komplexer, sondern vielleicht auch strittiger ist, als wir es gerne hätten“, sagt Prof. Dr. Schirin Amir-Moazami, Professorin am Institut für Islamwissenschaft an der FU und Forscherin am Exzellenzcluster. Ein Grundpfeiler von SCRIPTS ist die starke Verankerung in den Regionalstudien. Die Kooperation von Expertinnen und Experten für verschiedene Gegenden der Welt soll globale Perspektiven ermöglichen.

Aktuelle Debatten – wie um die Bewältigung der Corona-Pandemie – seien sehr europazentriert, sagt Prof. Dr. Tanja Börzel. Selbst innerhalb Europas werde die Frage nach der europäischen Solidarität häufig auf Wirtschaftshilfen für Italien, Frankreich und Spanien reduziert. Die Situation in den ärmeren Ländern Osteuropas oder der Geflüchteten in griechischen Lagern werde in der Öffentlichkeit kaum thematisiert. „Und erst recht spricht kaum jemand über die Folgen der Pandemie im globalen Süden. Wir kreisen schon sehr um uns selbst“, kritisiert die Sprecherin des Exzellenzclusters. SCRIPTS versucht es deshalb anders zu machen.

Neben der permanenten Reflexion des eigenen, regionalen wie historischen Standpunktes spiele auch die Berücksichtigung globaler Verflechtungen und Machtstrukturen eine zentrale Rolle.

Fragiles System in Zeiten der Krise

Das liberale Skript ist aus Sicht der Forscherinnen und Forscher weder unfehlbar noch alternativlos. In der Ausstellung wird kritisch hinterfragt, wem die Versprechen des Liberal Script gemacht werden und ob sie gehalten werden. „Die Geschichte des Liberal Script beginnt mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die anfangs nur für Männer galten“, sagt Gorch Pieken. Seitdem wurden sie in Aushandlungsprozessen ausgeweitet, die noch lange nicht beendet sind und das Liberal Script fortschreiben und verändern.

Wie aber steht es in der aktuellen Krise? „Auf den ersten Blick mag es scheinen, als seien autoritäre Regime besser in der Lage, die Corona-Pandemie einzugrenzen“, sagt Tanja Börzel. Das liege daran, dass sie sich nicht so viele Gedanken über Freiheitsrechte machen müssen – und Demokratien grundsätzlich langsamer in der Entscheidungsfindung seien. Aber nicht alle autoritären Regime stehen gut da – und auch Demokratien schneiden unterschiedlich ab. Autoritäre Populisten oder populistische Parteien erweisen sich als schlechte Krisenmanager, sagt die Politikwissenschaftlerin.

Ein Grund dafür könnte sein, dass „autoritäre Populisten die Interpretation des Mehrheitswillens dem Regierungschef zuschreiben“, sagt Michael Zürn. Die Bestimmung der Leitlinien der Politik werde dem Verfahren entzogen, personalisiert und damit würden auch wissenschaftliche Ratschläge zweitrangig.

Laut Tanja Börzel sind „populistische Strömungen aktuell eine zentrale Herausforderung für die liberale Demokratie“. Autoritäre, populistische Bewegungen hätten in westlichen Gesellschaften in den letzten Jahren politisch an Gewicht gewonnen. Auch global betrachtet hat sich das Phänomen ausgebreitet. „Wenn man nur Orbán, Erdoğan, Bolsonaro, Trump, Putin, Kaczyński und Modi zusammennimmt, dann liegen wir bei über zwei Milliarden Menschen, die von solchen autoritären Populisten regiert werden“, sagt Zürn.

Die Corona-Krise könnte solche Kräfte schwächen, sagt er. „Es könnte der Effekt eintreten, dass die starken Männer mit ihrer machoistischen Grundhaltung entlarvt werden und sich zeigt, dass sie schlechte Krisenmanager waren.“ Andererseits aber verstärken sich Wirtschafts- und Finanzprobleme sowie die soziale Spaltung. „Damit findet das statt, was autoritär-populistische Bewegungen stark gemacht hat“, erklärt der Politikwissenschaftler.

Auch solche aktuellen Fragen könnten Thema der Ausstellung werden, sagt der SCRIPTS-Sprecher. „Wir haben uns in unserem Cluster von Beginn an vorgenommen, systematisch Austausch mit anderen gesellschaftlichen Akteuren zu suchen. Das Humboldt Labor ist dafür eine fantastische Möglichkeit“, betont er. „Das Ziel ist nicht, dass wir die Welt belehren, sondern dass wir in echten diskursiven Austausch kommen.“