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© Humboldt-Universität zu Berlin, Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, Projekt: Architekturen des Wissens. ArchitekturenExperimente / Foto: Dimitra Megas

Erkundung einer Architektur des Wissens

Die Forschungsgruppe ArchitekturenExperimente erkundet im Humboldt Labor, welchen Einfluss die Gestaltung des Raumes auf die Vermittlung der Ausstellungsinhalte hat.

Wie bewegen sich Menschen durch Ausstellungen? Einige gehen vielleicht intuitiv drauflos, lassen sich treiben – angezogen von Objekten, die ihre Aufmerksamkeit erregen. Das Humboldt Labor will in seiner Auftaktausstellung erforschen, wie sich Besucher*innen den Raum erschließen und mit ihm interagieren. Dafür entwickelt die Forschungsgruppe ArchiExp, hervorgegangen aus dem am Exzellenzcluster „Bild Wissen Gestaltung“ angesiedelten Forschungsprojekt ARCHITEKTURENEXPERIMENTE, ein Konzept. Gefördert von der Joachim Herz Stiftung sollen in mehreren Forschungsphasen die Nutzungsweisen der Besucher*innen erforscht werden.

„Eine unser grundsätzlichen Fragen ist: Was macht der Raum mit uns – insbesondere mit unseren Wissensprozessen?“, erklärt die Architektin Henrike Rabe, die zusammen mit der Soziologin Séverine Marguin und dem Interaktionsdesigner Friedrich Schmidgall das ArchiExp-Team bildet. „Ob ich eine Wand dort oder dort hinstelle, hat womöglich einen riesigen Einfluss darauf, wie man sich durch die Ausstellung bewegt, was man sich anschaut, wo man länger oder kürzer verharrt und wie man mit anderen Besucher*innen interagiert“.

Geplant sind etwa zweimonatige Beobachtungszyklen, die in größeren Abständen stattfinden. Während der Forschungsphasen können sich Besucher*innen am Eingang der Ausstellung einem Token ausleihen, das sie am Handgelenk tragen. Die Bewegungen der Besucher*innen im Raum werden elektronisch erfasst – und als abstrakte Linien auf ein Architekturmodell des Humboldt Labors projiziert. Wer möchte, kann sich nach dem Besuch den eigenen Pfad durch die Ausstellung anzeigen lassen. „Wir versuchen immer, die Untersuchungsergebnisse in den Raum zurückzuspiegeln, um die Untersuchten an der Forschung teilnehmen zu lassen“, sagt Henrike Rabe.

© Humboldt-Universität zu Berlin, Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, Projekt: Architekturen des Wissens. ArchitekturenExperimente / Foto: Fabian Scholz

18 durchgeführte Experimentalsettings im Modell

Interessant seien für das ArchiExp-Team neben den quantitativen auch qualitative Daten. „Es geht nicht nur darum, wie sich Menschen die Ausstellung erschließen, sondern auch darum, wie sie den Raum und die Ausstellung wahrnehmen.“ Die Besucher*innen werden deshalb zu ihrem Ausstellungsbesuch befragt: Wie haben Sie den Raum oder bestimmte Raumbereiche wahrgenommen (z.B. weit-eng, dunkel-hell, geschützt-offen, geordnet-chaotisch)? Welche Exponate haben Sie angesprochen, welche nicht? Was war für Sie am Eindrücklichsten? Ziel der “ko-laborativen” Forschung sei, die Gäste aktiv einzubeziehen, erklärt Henrike Rabe. “Der Begriff stammt aus der Ethnologie und beschreibt einen Forschungsansatz, bei dem nicht über, sondern mit den Untersuchten geforscht wird. In diesem Sinne sind auch Workshops mit Besucher*innen, Mitarbeitenden, Wissenschaftler*nnen sowie Schulklassen geplant.

Anders, als man denken könnte, stehe bei der Analyse nicht die Optimierung des Raumes im Vordergrund, erklärt Friedrich von Bose, Stellvertretender Leitender Kurator der Auftaktausstellung. Spannend seien auch unvorhergesehene Effekte. „Eine unserer Fragen lautet: Wie können bestimmte Raumbeschaffenheiten Störungen hervorrufen, die vielleicht produktiv sind?“ Kurator*innen beschäftigten sich in erster Linie mit Ausstellungsinhalten, ohne dabei immer das räumliche Setting und die durch dieses erzeugten Abfolgen im Blick zu haben. Die Tatsache, dass Architektur Teil des inhaltlichen Geschehens ist, müsse aber immer mitgedacht werden. „Wir arbeiten natürlich immer mit dem Raum – manchmal auch bewusst gegen ihn“, sagt der Kurator. Wie dieses Gefüge dann von den Besucher*innen aufgenommen wird, lässt sich nie ganz voraussehen. Sie nehmen den vorgefundenen Ort auf ihre Art und Weise wahr und eignen ihn sich an – vielleicht ganz anders, als die Ausstellungsmacher*innen es im Sinn hatten. Dies zu erforschen sei sehr spannend nicht nur für das Humboldt Labor, sondern insgesamt für die Museumswelt.

© Humboldt-Universität zu Berlin, Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, Projekt: Architekturen des Wissens. ArchitekturenExperimente

Kartografie der Bewegung

Der Raum hat messbare Auswirkungen auf die Gruppendynamik

Das ArchiExp-Team hat Erfahrung mit der Untersuchung des Einflusses von Räumen auf Wissensproduktion. Hervorgegangen ist die Forschungsgruppe aus dem Exzellenzcluster „Bild Wissen Gestaltung“, das von 2012 bis 2018 an der Humboldt-Universität mehr als 40 verschiedene Disziplinen zusammenbrachte. Im Zentrum stand die Untersuchung von Bildern, Objekten und Wissen als Gestaltungsprozesse. Erstmalig kamen in der Grundlagenforschung dabei neben Geistes-, Natur- und Technikwissenschaften und Medizin auch Gestaltungsdisziplinen wie Design und Architektur zusammen.

Teil des Forschungsteams ArchitekturenExperimente waren auch Expert*innen aus weiteren Fachbereichen, darunter Wolfgang Schäffner (Kulturwissenschaften), Finn Geipel (Architektur) und Jörg Niewöhner (Europäische Ethnologie). Ausgangspunkt ihrer Forschung war die Frage, wie die Arbeit gemeinsam zwischen verschiedenen Fachbereichen funktionieren kann – und welche Rolle der Raum dabei spielt. „Wir wollten wissen: Wie können wir unsere physische und digitale Clusterarchitektur so gestalten, dass sie interdisziplinäre Forschungsprojekte unterstützen kann“, erklärt Henrike Rabe.

Um das herauszufinden, wurde die Experimentalzone gegründet. „Startpunkt war ein 350 Quadratmeter großer Gebäudeflügel, in dem wir alle Trennwände herausgerissen und so eine flexible Fläche geschaffen haben“, erzählt die Architektin. Dieser von Wissenschaftler*innen und Gestalter*innen aus vielen unterschiedlichen Disziplinen genutzte Arbeitsort wurde in regelmäßigen Abständen verändert und umgebaut. „Wir haben mit vielen verschiedenen Beobachtungsmethoden untersucht, was das mit den Forschungspraktiken macht“, erklärt Rabe. Dabei wurden die individuellen physisch-digitalen Forschungspraktiken in den Blick genommen, aber auch wie diese im Raum aufeinandertreffen. „Vor allem aber hat uns interessiert, wie sich aus einem Nebeneinander-Arbeiten ein Miteinander-Arbeiten entwickelt“, sagt Henrike Rabe.

Die Untersuchung erstreckte sich über einen Zeitraum von drei Jahren. Im Ergebnis ist das Konzept des “kollaborativen Habitats” entstanden – einem Raum, der Interdisziplinarität fördert. In der Monografie „Experimental Zone“ wird beschrieben, was solch einen Raum ausmacht. Es habe sich unter anderem gezeigt, dass offenere Raumtypologien deshalb so förderlich für die Zusammenarbeit sind, weil sie eine graduelle Annäherung zwischen den Disziplinen ermöglichen. “Durch die Sichtbarkeit der unterschiedlichen Praktiken zum Einen, und der Work-In-Progress-Forschungsinhalte zum Anderen, können sich die Wissenschaftler*innen den fremden Praktiken und Inhalten Schritt für Schritt annähern”, sagt die Architektin. Es gab aber auch kontraintuitive Einsichten: Heutzutage gebe es einen Trend hin zum flexiblen Arbeiten, bei dem Schreibtische gewechselt werden. „Wir haben aber beobachtet, dass es vielen wichtig war, sich einen festen Arbeitsplatz einzurichten – zunächst vor allem einzeln, später immer mehr in Gruppen. Diese Verankerung bot zum einen Schutz im offenen Raum und erlaubte zum anderen den schnellen Abruf von praktik-spezifischen Assemblagen“, erzählt Rabe.

Neben dem universitären Kontext sind für das ArchiExp-Team auch andere „Architekturen des Wissens“ interessant: Gebäude, in denen Wissen produziert, vermittelt oder gespeichert wird. Dazu gehören Schulen, aber auch Ausstellungsorte wie das Humboldt Labor. „Architekten gehen oft im Entwurfsprozess davon aus, dass man mit Räumen Wissensproduktion fördern oder Interaktionen ankurbeln kann. Aber systematisch erforscht wurde das wenig – und erstaunlicherweise kaum in Zusammenarbeit mit Soziolog*innen und Ethnolog*innen“, sagt Henrike Rabe. Die Kurator*innen des Humboldt Labors erhoffen sich von diesem Forschungsprojekt Ideen für die Zukunft, erzählt Friedrich von Bose. „Es geht auch darum, konkrete gestalterische Impulse für zukünftige Ausstellungssettings zu entwickeln.“