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© Wolfgang Karl Härdle, C.A.S.E. Computermuseum, Humboldt-Universität zu Berlin, Foto: Paul Melzer

Die Zukunft im Nähmaschinen-Kasten

In der Ausstellung im Humboldt Labor spielen alte und neuere Objekte aus den Sammlungen der Universität eine zentrale Rolle. Computer aus der C.A.S.E Sammlung zeigen, wie rasant sich die Technik – und ihre Bedeutung für die Wissenschaft – in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat.

Vor nicht allzu langer Zeit repräsentierten sie den neuesten Stand der Technik, heute muten die klobigen, beigefarbenen Kästen altmodisch an. Im Humboldt Labor sollen neun Computer aus den Jahren 1977 bis 2004 gezeigt werden. Sie geben einen Einblick in die rasante Entwicklung der Informationstechnik – und deren Bedeutung für universitäre Lehre und Forschung.

Da ist beispielsweise der IBM Portable 5155 aus dem Jahr 1985, der mit seinem Gehäuse eher einer Nähmaschine ähnelt als einem Computer. Aus heutiger Sicht erscheint die Bezeichnung „tragbar“ nicht mehr angebracht, denn immerhin wiegt das Gerät rund 15 Kilo. Die neun Objekte stammen aus der C.A.S.E Computersammlung des Centers for Applied Statistics and Economics der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Sie umfasst Computer, Rechenmaschinen und Software, die im Zusammenhang mit der Entwicklung von Statistik und Ökonometrie stehen.

Im Humboldt Labor wird der Blick in universitäre Sammlungen eine zentrale Rolle spielen. Die Forschungs- und Lehrsammlungen sind auch Archive der Wissenschaftsgeschichte, unterstreicht Dr. Gorch Pieken, leitender Kurator der Ausstellung. Alexander von Humboldt studierte die großen Fragestellungen seiner Zeit vor einem minutiös rekonstruierten historischen Hintergrund, wofür er viel Zeit in Archiven verbrachte. Auch im Humboldt Labor werden aktuelle Forschungsprojekte in ihrer historischen Entwicklung betrachtet und in Beziehung zu konkreten Ausstellungstücken aus der Wissenschaftsgeschichte gesetzt.

© Wolfgang Karl Härdle, C.A.S.E. Computermuseum, Humboldt-Universität zu Berlin, Foto: Paul Melzer

IBM Portable 51555 (1985)

Die 38 Objekte und Objektgruppen werden in Vitrinen gezeigt, die von der Decke des Saales hängen. Mithilfe von Pantografen, wie sie in Filmstudios verwendet werden, können sie hinauf- und hinuntergefahren werden. „Das steht im Widerspruch zu den Konventionen musealer Präsentation, wie sie seit dem 19. Jahrhundert üblich sind – dabei beziehen wir uns auf eine noch viel ältere Ausstellungsform“, sagt Gorch Pieken. Durch das schillernde und konfrontative Neben- und Miteinander der Ausstellungsstücke solle die Anmutung einer Wunderkammer entstehen, wie sie in der Spätrenaissance und im Barock beliebt war.

Auch die neun Computer werden in hängenden Vitrinen ausgestellt. Da einige von ihnen ein beachtliches Eigengewicht haben, werden sie auf drei Stationen aufgeteilt, berichtet Andreas Geißler, der als Kurator am Humboldt Labor auch für die Computer-Exponate zuständig ist.

Gleich zu Beginn ihrer Ausstellungsplanung besichtigte das vierköpfige Kuratoren*innen-Team gemeinsam die meisten der 45 Sammlungen der Universität. „Jede und jeder von uns nimmt ja anders wahr“, betont Geißler. Was als besonders spannend, wichtig und beachtenswert angesehen wird, ist eine fachliche, aber auch eine subjektive Entscheidung. „Alle Objekte durchliefen ein strenges Casting, weil die Qual der Wahl nicht anders beendet werden konnte“, erzählt Gorch Pieken.

Forschungs- und Lehrsammlungen sichtbar machen

Die aktuelle Auswahl ist ein Auftakt. Im Laufe der Zeit sollen die Vitrinen im Humboldt Labor zu einem Umschlagplatz für Sammlungs-Objekte und -Geschichten aller Art werden, erklärt er. Dynamik ergebe sich bereits dadurch, da es sich um Stücke aus Forschungs- und Lehrsammlungen handelt, die vielfach noch in Gebrauch sind. Durch die Präsentation im Humboldt Labor werden sie außerhalb der Universität sichtbar, was langfristig zum Erhalt der Sammlungen beitragen kann, weil ihre Bedeutung von einem breiten Publikum erkannt und anerkannt wird, sagt Gorch Pieken. „Man schafft eine bedeutende Öffentlichkeit, die an der Uni sonst gar nicht gegeben ist“, betont Andreas Geißler.
Denn manche Institute haben gar nicht die finanziellen, personellen und räumlichen Ressourcen, die Sammlungen umfassend zu betreuen und zu präsentieren. So lagerten einige Schätze versteckt in Kisten in kleinen Ecken und Kellern, während andere in adäquaten Räumen untergebracht seien, erzählt Geißler.

Der Ursprung der Sammlungen der Humboldt-Universität liegt in der Berliner Kunstkammer und der Bergakademie. Kurz nach der Gründung der Universität 1810 zogen die naturkundlichen Sammlungen aus der Kunstkammer in der Hauptgebäude. Wie das Sammlungs-Portal der Universität berichtet, bedeutete dies die Auflösung des spartenübergreifenden Sammelns hin zu separaten fachlich orientierten Sammlungen, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts weiter ausdifferenzierten. Bedeutende Einschnitte stellten beispielsweise die Verluste während des Zweiten Weltkriegs dar. 1944 etwa wurden beim Brand des Botanischen Museums innerhalb einer Nacht Millionen von Objekte verbrannt, vom Christlich-archäologischen Museum und vom Museum für Meereskunde existieren heute wegen der Kriegszerstörungen nur noch einzelne Objektbestände.

Die im Humboldt Labor ausgestellten Objekte geben einen Einblick in die Vielfalt älterer und jüngerer Sammlungen. Die Computer aus den Wirtschaftswissenschaften werden normalerweise in Gängen und Büros der Fakultät ausgestellt, berichtet Geißler. Angelegt wurde die Sammlung von Wolfgang Härdle, Statistiker und Professor der Wirtschaftswissenschaften. „Er hat damit angefangen, die Computer seiner beruflichen Laufbahn aufzuheben“, erzählt der Kurator. Somit ergibt sich zum einen ein biografischer, zum anderen ein technischer Bezug, der die jeweils aktuellen Möglichkeiten zur Berechnung statistischer Fragestellungen präsentiert. Die technischen Voraussetzungen beeinflussen Lehre, Forschung und Publikationstätigkeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.

Ausrangierte Computer – Zeugnisse der Medien- und der Wissenschaftsgeschichte

In der Ausstellung sollen die ausrangierten Geräte wieder zum Leben erweckt werden. Deswegen kooperiert das Humboldt Labor mit dem Signallabor der Medienwissenschaft an der Humboldt-Universität. Dort werden Artefakte aus verschiedenen Generationen der Computer- und Rechnergeschichte ausgestellt und gewartet. Dadurch werden unter anderem Forschungsergebnisse auf historischen Datenträgern abrufbar gehalten, erklärt Geißler. Unter der Federführung von Dr. Dr. Stefan Höltgen, Kurator der technischen Sammlungen der Medienwissenschaft, wurden die neun Computer wieder funktionstüchtig gemacht. An der C.A.S.E-Station werden Besucherinnen und Besucher auf den Bildschirmen die Entwicklung von Benutzeroberflächen nachvollziehen können – und mit einigen Computern auch selbst interagieren können.

Neben der Vergangenheit sollen jedoch auch Gegenwart und Zukunft in den Blick genommen werden. Themen wie virtuelle Währungen, Blockchains, mit Computern betriebenes Hochfrequenztrading oder Software zur Gefühlserkennung sollen im Vermittlungsprogramm der Ausstellung eine Rolle spielen, berichtet Geißler.

© Wolfgang Karl Härdle, C.A.S.E. Computermuseum, Humboldt-Universität zu Berlin, Foto: Paul Melzer

Toshiba T5100 (1989)