Wie wirken Farben auf uns? Gehört die Hand eines Schimpansen in ein Museum? Und kann unser Konsumverhalten dabei helfen, dass sich die Bedingungen in der globalen Kleidungsindustrie verbessern? Das sind Fragen, die Mouhamed Abed-Ali und Jan Hagen bei einer Führung durch die Ausstellung Nach der Natur mit Besucher:innen diskutiert haben. Die beiden 18- und 17-Jährigen sind Teil der „Critical Young Friends“, einer Gruppe von Jugendlichen, die im Jugend Museum in Schöneberg im Rahmen des Projekts „Discovery History Act Now“ Ausstellungen organisieren und Workshops anbieten. Sie wollen jugendliche und machtkritische Perspektiven ins Spiel bringen – auch bei der Kooperation mit dem Humboldt Labor, die der Museumspädagoge Mohammed Minar Quayim ins Leben gerufen hat. Die Critical Young Friends haben in der Ausstellung Nach der Natur bei ausgewählten Objekten einen von drei Ausstellungstexten durch eine eigene Erklärung ersetzt. Darin gehen sie auf aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen und Bezüge zum Kolonialismus ein. Im Interview erzählen Mouhamed und Jan, was sie Besucher:innen mitgeben wollen und was sie selbst gelernt haben.

© Humboldt-Universität zu Berlin / Ausstellungsgrafik: Julia Neller / Exponate: Technische Universität Dresden, Fakultät Chemie und Lebensmittelchemie, Historische Farbstoffsammlung / Foto: Nadine Zilliges
Die Welt ist kleiner, als man denkt
Wer sind die Critical Young Friends?
Mouhamed Abed-Ali: Die Critical Young Friends sind eine Gruppe von etwa 15 Jugendlichen vom Jugend Museum in Schöneberg. Wir machen bei Projekten mit, um die Sichtweisen von Jugendlichen einzubinden und zum Beispiel – wie hier beim Humboldt Labor – kritisch zu hinterfragen, warum etwas ausgestellt wird. Es kommt mir komisch vor, das zu sagen, aber Jugendliche wissen bei manchen Dingen besser Bescheid als ältere Menschen. Wir wissen, wenn etwas „cringe“ ist, also wenn man sich fremdschämt. Wir wissen auch, wie man Jugendliche am ehesten für Dinge interessieren kann.
Was habt ihr im Humboldt Labor gemacht?
Jan Hagen: Als wir das erste Mal dort waren, haben wir uns die Ausstellung angeguckt und Feedback gegeben. Das war letztes Jahr in den Herbstferien. So ist die Kooperation entstanden. Wir haben uns dann sechs Objekte ausgesucht, die wir am interessantesten fanden und uns in Gruppen damit beschäftigt. Ursprünglich hatte jedes Ausstellungsstück drei Objekttexte. Davon haben wir denjenigen gestrichen, den wir am irrelevantesten fanden. Meist gab es darin Wiederholungen aus den ersten beiden Texten oder Sachen, die wir als nicht so wichtig erachtet haben. Stattdessen haben wir einen eigenen Text geschrieben. Der größte Unterschied ist, dass wir aktuelle Bezüge zur Weltpolitik reinbringen oder Fragen zum Kolonialismus stellen. Denn der Sinn unserer Arbeit ist, machtkritisch zu hinterfragen. Wir betrachten das Machtgefälle zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden und fragen: Wie sind die Verhältnisse, warum sind sie so – und sollten sie so sein?
Welche Objekte habt ihr euch ausgesucht?
Jan Hagen: Ich habe mir unter anderem die Masken ausgesucht, die der beninische Künstler Romuald Hazoumè aus alten Benzinkanistern gebaut hat. Meine Schwester studiert Ethnologie und wir hatten in der Familie schon häufiger Diskussionen über Raubkunst und wie man damit umgehen sollte. Ich finde, am Beispiel der Masken kann man gut über das Thema sprechen – und Kritik am Humboldt Forum üben. Ich finde, das ist schon eine coole Institution, aber es ist auch wichtig, dass man bestimmte Sachen hinterfragt. Ich finde es nicht in Ordnung, dass das Humboldt Forum Benin-Bronzen aus Afrika und generell Raubkunst in seinen Sammlungen hat.
Mouhamed Abed-Ali: Ich habe zum Beispiel die Farbmittelproben aus der Petrochemischen Farbmittelsammlung der Technischen Universität Dresden ausgewählt. Es geht dabei darum, welche Wirkung und Symbolik Farben früher hatten. Meiner Meinung nach ist es aber viel wichtiger zu betrachten, welche teils unbewussten Effekte Farben heute haben. Überall wird man mit ihnen konfrontiert. Wenn aus dem Fenster schaut: überall leuchtende Farben. Meist merkt man nicht, dass man sofort Assoziationen hat: Blau ist für Jungs, Pink ist für Mädchen. Schwarz steht häufig für etwas Negatives – wie zum Beispiel Schwarzfahren. Weiß hingegen steht oft für Positives – wie die „weiße Weste“. Es ist wichtig, dass man darüber spricht.
Wie fühlt es sich an, dass eure Texte jetzt Teil der Ausstellung sind?
Mouhamed Abed-Ali: Das ist schon ein sehr gutes Gefühl. Was in den Vitrinen ausgestellt ist, ist nichts, was von Wissenschaftler:innen oder Politiker:innen geschrieben wurde, sondern von Jugendlichen. Ich bin sehr stolz darauf.
Jan Hagen: Ich finde, es ist ein unheimliches Privileg, dass wir die Möglichkeit haben, eine Ausstellung zu verändern. Das ist eine großartige Gelegenheit.
Welche Kritikpunkte habt ihr an der Ausstellung? Was würdet ihr anders machen?
Jan Hagen: Bei den Ausstellungstexten wäre das vor allem der fehlende Bezug zu aktuellen Ereignissen. Bei den Objekten selbst kann man nicht viel kritisieren, denke ich. Wir finden die Ausstellung eigentlich gut. Sie beinhaltet auch keine Raubkunst. Bei der Schimpansen-Hand könnte man natürlich eine tierethische Diskussion starten und fragen, ob so etwas in einem Museum gezeigt werden sollte.
Was die Darstellung der Objekte angeht, haben wir einen Verbesserungsvorschlag. Zu jedem von ihnen gibt es jeweils drei Texte aus drei Perspektiven. Man könnte diese Aspekte mit Spuren auf dem Boden verbinden. Dann könnte man zum Beispiel dem Thema globale Ungleichheit folgen und würde dazu verschiedene Objekte finden.
Ihr seid mit einer Gruppe von Besucher:innen durch die Ausstellung gegangen, habt ihnen eure Perspektiven vorgestellt und diskutiert. Wie habt ihr diese Führung erlebt?
Mouhamed Abed-Ali: So eine Führung ist eine große Verantwortung. Deswegen waren wir ein kleines bisschen aufgeregt. Es lief recht gut, auch weil wir nicht komplett alleine waren. Wir hatten den jeweils anderen und auch Mohammed Minar Quayim, der weitere Informationen zur Ausstellung geben konnte. Schwierig war es, wenn Fragen aufkamen, die wir nicht so schnell oder so pauschal beantworten konnten. Jemand hat zum Beispiel gefragt, wie es in Deutschland mit der Ölkrise, der Inflation und Protesten weitergeht. Darauf können wir nicht antworten, weil wir es nicht wissen.
Was habt ihr selbst bei der Auseinandersetzung mit der Ausstellung gelernt?
Mouhamed Abed-Ali: Mir persönlich ist noch einmal deutlicher geworden, wie verbunden die Welt im Positiven wie auch im Negativen ist. Es gibt nichts, was man irgendwo anders einpackt oder was irgendwo anders passiert, das einen nicht früher oder später auch hier beeinflussen wird. Zum Beispiel dachten wir bei der Coronapandemie: Das ist in Wuhan, das wird hier nicht passieren. Aber: Die Welt ist kleiner, als man denkt.
Jan Hagen: Mich hat das Projekt auch in meinen politischen Ansichten gestärkt, weil es bestätigt hat, dass wir Sachen ändern müssen. Es gibt ein Machtgefälle auf der Welt, das auch für den globalen Norden auf Dauer nicht gut ist.
Mouhamed Abed-Ali: Es ist erschreckend, dass immer noch ständig mit zweierlei Maß gemessen wird. Wir hätten nicht gedacht, dass das im Jahr 2022 noch so schlimm ist. Für uns heißt das, dass wir uns mehr damit befassen müssen.
Welche Projekte verfolgt ihr sonst noch mit den Critical Young Friends?
Jan Hagen: Ansonsten machen wir Ausstellungen in unserem eigenen Museum, dem Jugend Museum in Schöneberg. Außerdem haben wir noch Kooperationen, zum Beispiel mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.
Wir machen viel Museumsarbeit, aber auch andere Projekte. Das Museum hat zum Beispiel bei den U18-Wahlen mitgeholfen. Wir versuchen, Demokratiebewusstsein zu vermitteln und anderen zu zeigen: Ihr müsst euch einbringen! Das könnte man zum Teil schon als Aktivismus bezeichnen.
Mouhamed Abed-Ali: Ja, wir machen viel Aufklärungs- und Empowermentarbeit – zum Beispiel beim Projekt Tape Art, wo wir mit anderen Jugendlichen ein Kunstwerk aus Klebeband herstellen. Beim allerersten Projekt von „Discovery History Act Now“ namens „Zeichen setzen“ haben wir vor der Kamera verschiedenste Aktivist:innen interviewt, die sich mit Antirassismus, Antiziganismus und Antidiskriminierung im Allgemeinen auseinandersetzen. Wir wollten zeigen, dass Rassismus immer noch ein großes Thema ist.
Weitere Informationen: HTTPS://WWW.DISCOVERHISTORY-ACTNOW.DE/CYF/