Magazin

© Universität Greifswald, Institut für Botanik und Landschaftsökologie, Herbarium und Botanisches Museum / Foto: Elke Seeber

Die Renaissance des Schrumpel-Apfels

Modelle aus dem „Arnoldi‘schen Obst-Cabinet“ zeigen im Humboldt Labor, wie vielfältig die heimische Sortenvielfalt sein könnte

Äpfel sind ein Obst, das ebenso vertraut wie gewöhnlich erscheint. Wenig spektakulär für eine Wissenschaftsausstellung – oder? Die Apfelmodelle, die im Humboldt Labor ausgestellt werden, sind jedoch wenig alltäglich, obwohl sie in Deutschland angebaut wurden. Sie haben erstaunlich wenig mit jenen Exemplaren gemeinsam, die in den Regalen europäischer Supermärkte zu finden sind. Die 32 täuschend echt aussehenden Apfelmodelle sind Teil des „Arnoldi‘schen Obst-Cabinets“, das in Europa angebaute Sorten aus dem 18. und 19. Jahrhundert versammelt.

„Einen Braeburn oder einen Granny Smith werden sie darunter nicht finden“, sagt Dr. Thilo Habel, Leiter der Kustodie der Universität Greifswald, aus deren Sammlung die Apfelmodelle stammen.

Der Obstanbau war zu Arnoldis Zeiten geprägt von Streuobstwiesen und großer Sortenvielfalt. Durch die Modernisierung des Obstanbaus und die Rodung von Streuobstwiesen nach den Zweiten Weltkrieg schrumpfte die Zahl der Obstsorten. In deutschen Supermärkten werden überwiegend zehn der rund 3.000 Apfelsorten angeboten, die in Mitteleuropa wachsen. „Ich würde das ganz plakativ den europäischen Einheitsapfel nennen. Wir haben uns abgewöhnt, kleine schrumpelige Äpfel, die vielleicht sehr schmackhaft und sehr gesund sind, zu essen“, sagt Dr. Gorch Pieken, Leitender Kurator des Humboldt Labors, der Wissenschaftsausstellung der Humboldt-Universität im Humboldt Forum.

Die Vielfalt, die das Arnoldi‘sche Obst-Cabinet abbildet, ist nicht nur schön anzusehen, sondern hatte auch praktischen Nutzen. So gab es beispielsweise Winter-, Sommer- und Herbstäpfel. „Man kann eigentlich zu jeder Jahreszeit heimische Äpfel essen“, betont Pieken. Einige Apfelsorten wurden im Herbst geerntet, mussten aber noch reifen und waren erst zu Weihnachten oder im Januar genießbar. „Es gibt auch sehr frühe Sorten, die vielleicht eine unschöne Schale haben, aber besonders vitaminreich sind und sehr lecker schmecken“, sagt Gorch Pieken.

© Universität Greifswald, Institut für Botanik und Landschaftsökologie, Herbarium und Botanisches Museum / Foto: Elke Seeber

Das Wissen um die heimische Sortenvielfalt geht verloren

Heutet drohe das Wissen um die heimische Sortenvielfalt verloren zu gehen, warnt er. „Man muss gar nicht zum Amazonas schauen, um zu begreifen, dass die Biodiversität verschwindet – überall auf der Welt.“ Das Arnoldi‘sche Obst-Cabinet lässt die heimische Sortenvielfalt sichtbar werden – und schlägt den Bogen zu den aktuellen globalen Herausforderungen, die an einer großen, multimedialen Forschungswand der Ausstellung im Humboldt Labor verhandelt werden: internationaler Handel und Warenverkehr, die Klimakrise oder das Aussterben von Arten. Die Schau unter dem Titel „Nach der Natur“ fragt auch, was „Natur“ eigentlich ist. Sind Streuobstwiesen als Teil unserer Kulturlandschaft „natürlich“? „Es gibt keine unberührte Natur mehr. Und als Teil dieser Natur sind viele alte Apfelsorten ausgestorben und viele weitere bedroht“, erklärt Gorch Pieken.

Präsentiert werden die Apfelmodelle im Humboldt Labor auf weichen, transparenten Bürstenhaaren thronend. Auf diese Weise können sie von allen Seiten betrachtet werden. Ursprünglich dienten die Modelle aus der Porzellanmanufaktur von Heinrich Arnoldi (1813–1885) verschiedenen Zwecken. Er verkaufte sie unter anderem mit detailreichen Beschreibungen an Obstbauern und als Lehrmittel an wissenschaftliche Institute. Das funktionierte in Form eines Abonnement-Systems, bei dem regelmäßig neue Modelle verschickt wurden.

Unter den Subskribenten war auch die UNIVERSITÄT GREIFSWALD. „Es gab damals ein erhebliches Interesse an landwirtschaftlichen Objekten“, erzählt Thilo Habel. Ein Grund dafür war, dass es im 19. Jahrhundert im nahegelegenen Eldena eine landwirtschaftliche Akademie gab. „Wir hatten einen sehr rührigen Botanik-Professor, der in Eldena und an der Uni Greifswald unterrichtete. Wahrscheinlich haben wir ihm die Subskription zu verdanken“, berichtet der Leiter der Kustodie.

Die Greifswalder Sammlung umfasst heute noch 214 von insgesamt 455 Modellen aus der Arnoldi‘schen Manufaktur, darunter 104 Äpfel, 73 Birnen und einige andere Obstsorten. Diese Modelle wurden nicht aus Porzellan hergestellt, sondern aus einer speziellen Gipsmasse gegossen. Sie sind innen hohl und von außen mit einer aufwändigen, mehrschichtigen Tempera-Malerei versehen, die auch zarte Farbnuancen und Sprenkel nachbildet. „Besonders schön sind die Pfirsiche, denn bei ihnen wurde sogar der Flaum nachempfunden“, erzählt Thilo Habel.

Die Obstbaukunde (Pomologie) entwickelte sich im 18. Jahrhundert und fand im 19. Jahrhundert weite Verbreitung. „Das war kein elitäres Fach, sondern etwas, mit dem sich sowohl Landesfürsten als auch einfache Menschen beschäftigt haben“, sagt Habel. Denn im Winter eingemachte Birnen oder Lager-Äpfel zu haben, war für alle Bevölkerungsschichten ein begehrter Luxus.

Sammlung heute auch für Landwirschaft wieder relevant

Die Modelle von Arnoldi dienten jedoch nicht nur als wissenschaftliche Anschauungsobjekte. Auch Privatmenschen kauften gerne täuschend echten Obst-Nachbildungen – als Dekorations-Objekte für ihre Wohnungen. Auch heute noch werden die Modelle gerne als Beispiele für illusionistische Malerei gezeigt. Betrachtet werden können sie beispielsweise bei Besuchen der Sammlungsbestände des botanischen Museums in Greifswald. „Das Arnoldi‘sche Obst-Cabinet wird als besonderer wissenschaftshistorischer Schatz vorgeführt“, berichtet Habel.

Er bemerke, dass derzeit das Interesse an alten Obstsorten wieder aufflamme – aus ökologischen, aber auch aus kulinarischen Erwägungen. Schließlich sei durch die Industrialisierung auch geschmackliche Vielfalt verloren gegangen.

Für die Wissenschaft und die Landwirtschaft ist auch interessant, wie gut alte Sorten für den Klimawandel gerüstet sind – teilweise vielleicht besser als die wenigen Supermarkt-Sorten. Auch stellt sich die Frage, ob der winterliche Schrumpel-Apfel nicht wieder als Alternative zu importiertem Obst vom anderen Ende der Welt dienen könnte.

© Universität Greifswald, Institut für Botanik und Landschaftsökologie, Herbarium und Botanisches Museum / Foto: Elke Seeber