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© Humboldt-Universität zu Berlin, Lautarchiv

Die akustische Spur des Bayume Mohamed Husen

Postkoloniale Recherche: Eine im Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin gespeicherte Tonaufnahme von Bayume Mohamed Husen ermöglicht einen Blick auf die kolonialen Verflechtungen der Berliner Stadt- und Universitätsgeschichte.

Wer spricht hier? Was wurde vorgelesen und warum? Wie ist die kulturelle Bedeutung des Gesagten zu bewerten? Und was lässt sich anhand der Stimme über den Sprecher aussagen? Diesen und weiteren Fragen widmet sich meine Forschung zu kolonialen Präsenzen im Berliner LAUTARCHIV. Das Schallarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) enthält umfangreiche Sammlungen von Schellackplatten, die bis Mitte des 20. Jahrhunderts zu wissenschaftlichen Zwecken aufgezeichnet wurden. Die Aufnahme von Bayume Mohamed Husen zählt zu den Archivbeständen akustischer Zeugnisse von kolonialisierten Subjekten. Um sich dieser spezifischen Quelle zu nähern, organisierte ich gemeinsam mit der Sozial- und Kulturanthropologin Jasmin Mahazi einen Hörworkshop am Institut für Europäische Ethnologie der HU. Eingeladen waren Swahili-Sprecher:innen, sich über die Tonaufnahme und das Gehörte auszutauschen. Durch das Zusammenführen von verschiedenen Expertisen, Perspektiven und Höreindrücken beabsichtigte das Workshopformat die kollektive und ergebnisoffene Auseinandersetzung mit dem historischen Material.

Eine ambivalente, schwierig zu deutende historische Quelle

Die Sprachaufnahme wurde im Juli 1934 am damals neu gegründeten Institut für Lautforschung der Berliner Universität aufgezeichnet. Auf der Tonaufnahme ist ein von Husen in Swahili vorgelesener Text zu hören, der von Hochzeitstraditionen der Swahili handelt. Die Schellackplatte sollte vorrangig dem Sprachunterricht dienen und erschien ein Jahr später mit entsprechenden Begleittexten in der Publikationsreihe der am Institut für Lautforschung angesiedelten Lautbibliothek. In dem Sprachlernheft wurde Husen als Erzähler des Textes benannt, wobei nicht klar ist, wer tatsächlich für den Inhalt der Aufnahme verantwortlich war. Mehr als schriftliche, fotografische und filmische Quellen vermitteln akustische Zeugnisse den Eindruck, Personen der Vergangenheit durch das Hören der individuellen Stimme besonders nahe zu kommen. Gleichzeitig sind die Entstehungsbedingungen der Tonobjekte des Lautarchivs umso schwieriger zu rekonstruieren. Aus diesem Grund stellt die Tonaufnahme von Husen eine ambivalente historische Quelle dar, die einer multiperspektivischen Deutung bedarf.

Biografie ist dicht mit der deutschen Kolonialgeschichte verwoben

Husens Tonaufnahme und die schriftlichen Begleitmaterialien verweisen auf koloniale Machtstrukturen, die sich auch an der Berliner Universität manifestierten. So war Husen als sogenannter Sprachgehilfe von prekären Arbeitsbedingungen betroffen. Als Sprecher der Tonaufnahme wurde er zu einem wissenschaftlichen Objekt degradiert. Die Kulturwissenschaftlerin Britta Lange hat einzelne Bestände des Lautarchivs als ‚sensible Sammlungen’ beschrieben, da diese unter problematischen Bedingungen und der Ausnutzung eindeutiger Machtverhältnisse entstanden. Im Zusammenhang der archivierten Tonspur von Husen ist jedoch nicht nur die Aufnahmesituation als sensibel einzustufen, sondern auch der Aufnahmeinhalt, da dieser intime kulturelle Praktiken auf eine unangemessene Art und in unpassenden Worten umschreibt. Eine kritische und kollaborative Auseinandersetzung mit der bisher wenig berücksichtigten Aufnahme aus dem Lautarchiv kann dabei helfen, das Tondokument als Produkt kolonialer Machtstrukturen und als Beispiel für die historische Verflochtenheit zwischen Wissenschaft und Kolonialismus zu identifizieren.

Irene Hilden ist Doktorandin am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitglied des Graduiertenkollegs ‚Minor Cosmopolitanisms‘ der Universität Potsdam. Sie hat Kulturwissenschaft, Europäische Ethnologie und Germanistik in Berlin und Istanbul studiert. In ihrer Promotion widmet sie sich den kolonialen Spuren im Berliner Lautarchiv und untersucht den aktuellen Umgang mit akustischem Erbe.

Der Workshop wurde von der Humboldt-Universitäts-Gesellschaft und dem Humboldt Labor gefördert.

Organisation: Irene Hilden (HU Berlin), Jasmin Mahazi (FU Berlin) Teilnehmende: Rukia Bakari (Universität Leipzig), Frank Daffa (HU Berlin), Lutz Diegner (HU Berlin), Vitale Kazimoto (Tansania), Stephanie Lämmert (MPI für Bildungsforschung), Asmau Nitardy (Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft)