Das Motiv des Wassers hat hierbei auch eine epistemologische Dimension: Einen Gegenstand isoliert zu betrachten, um verlässliches Wissen zu schaffen, ist bewährte methodische Praxis. Zugleich bedeutet diese Isolierung jedoch immer auch einen Verlust an Kontextwissen. Darum sind heute viele innovative Forschungsfelder von dem Anliegen geprägt, zu starre Setzungen, die oftmals am Anfang positiver Wissensproduktion stehen, zugunsten komplexerer Modelle zu verflüssigen und dadurch die einzubeziehenden Kontexte zu erweitern. Die Grundlagen zur Orientierung werden dadurch einerseits unsicherer, andrerseits scheinen sie geeigneter, die Veränderungsprozesse in Natur und Gesellschaft darzustellen und zu verstehen. Das Motiv des Verflüssigens verliert seine metaphorische Dimension, wenn es darum geht, Erscheinungsformen des Wassers als eigener Akteur in einem komplexen Geschehen zu beschreiben. Oftmals geht es dabei um ein Austarieren der Kräfte und Quantitäten. Wissenschaftliche Forschung erscheint vor diesem Hintergrund als der Versuch, Ungleichgewichte, drohende irreversible Kipppunkte und destruktive Asymmetrien durch gezielte Maßnahmen zu korrigieren und hierin vom Wasser in seinen vielfältigen Verflechtungen mit Mensch, Natur und Technik zu lernen. Konsequent eingenommen, verspricht diese Perspektive Lösungskonzepte für grundlegende Herausforderungen der Gegenwart, sei dies auf der Ebene der Grundlagenforschung oder der konkreten Anwendungspraxis im lokalen wie im globalen Zusammenhang.
Ein Pate bei der Konzeption der Ausstellung ist der Ethnologe und Sprachwissenschaftler Franz Boas (1858–1942), dessen interdisziplinäre und explizit kulturrelativistische Perspektive richtungsweisend war und ist für die Herausforderungen transdisziplinärer Forschung im lokalen wie globalen Maßstab. Seine in der Physik entstandene Doktorarbeit „Beiträge zur Erkenntnis der Farben des Wassers“ (1881) stellt mit seiner Verbindung von erzählenden wie mathematischen und technischen Aspekten ein markantes Beispiel für den auch für die Ausstellung leitenden Gedanken dar, abstrakte Fragestellungen mit anschaulichen Motiven zu verbinden. Auch sein 1886 gehaltener Vortrag zur Habilitation an der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin, „Die Eisverhältnisse des arktischen Ozeans“, widmete sich wieder dem Wasser, nun aber als Geograf und von vornherein anthropologisch orientiert. Boas‘ lebensweltliches Motiv der Farbigkeit des Wassers bildet ein Grundmotiv für die Potenziale und Grenzen der Verallgemeinerung von Wissen.