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© Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Archäologie, Sudanarchäologische Sammlung & Archiv

Ausgrabungen im Geiste der Völkerfreundschaft – Archäologie im Sudan

Seit 60 Jahren engagiert sich die Humboldt-Universität in archäologischen Grabungsprojekten im Sudan – angefangen mit Fritz und Ursula Hintze, die eine aufsehenerregende Entdeckung machten. Das Humboldt Labor gibt Einblicke in eine Forschungszusammenarbeit, bei der gleichberechtigte Kooperation von Beginn an ein zentrales Thema war.

„Heute war der grosse Tag!!“, beginnt Ursula Hintze (1918–1989) ihren Tagebucheintrag vom 27. Januar im Jahr 1960. „Um 12:35 fand Fritz an der S-Seite des SO-Tempels ausgezeichnet erhaltene Reliefs mit Inschriften, die in ägyptischer Sprache abgefasst sind (…)“, notierte die promovierte Afrikanistin. Ihr Ehemann, der Ägyptologe Professor Fritz Hintze (1915–1993), leitete ab Ende der 1950er-Jahre die ersten Feldforschungen der Humboldt-Universität im Sudan. Das archäologische Kooperationsprojekt in der 1956 gegründeten afrikanischen Republik war für die DDR wissenschaftlich wie außenpolitisch enorm prestigeträchtig. „Es war so bekannt, dass man einen Satz Briefmarken mit Motiven aus Musawwarat herausgegeben hat“, erzählt Dr. Cornelia Kleinitz, die die SUDANARCHÄOLOGISCHE SAMMLUNG der Humboldt-Universität von 2015 bis Ende 2020 geleitet hat und sie nun im Rahmen ihres Habilitationsprojektes wissenschaftlich aufarbeitet.

Die Sonderbriefmarken, auf denen einzigartige Tempelreliefs aus Musawwarat zu sehen sind, gehören zu den Archivalien der Sammlung, die im Humboldt Labor gezeigt werden.

© Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Archäologie, Sudanarchäologische Sammlung & Archiv / Entwurf: Jochen Berthold

Briefmarke der DDR zu den Grabungen in Musawwarat mit dem Bild von König Arnekhamani

Wissenschaft als antikoloniale Zusammenarbeit

Die Sudanarchäologische Sammlung zeigt, wie langfristige, internationale Forschungszusammenarbeit aussehen kann. Mit einigen Unterbrechungen besteht die Kooperation seit über 60 Jahren. Die DDR habe mit diesem Forschungsprojekt unter dem Label der „Völkerfreundschaft“ ihre antikoloniale Haltung unterstreichen wollen, erklärt Dr. Gorch Pieken, Leitender Kurator des Humboldt Labors. „In dieser Hinsicht war man schon in den Sechzigerjahren sehr reflektiert und überlegte, wie man gleichberechtigt mit lokalen Akteuren zusammenarbeiten könne“, berichtet Cornelia Kleinitz. Über mehrere Generationen haben sich durch die Kooperation berufliche wie private Beziehungen entwickelt. „Wir sind heute noch vor Ort und arbeiten mit den Enkeln der Leute von damals. Ich will das nicht romantisieren, aber archäologische Langzeitprojekte haben das Potential, nachhaltig zu arbeiten“, sagt die Archäologin.

Während andere Exponate der Wissenschaftsausstellung des Humboldt Labors – wie die Mineralien aus Tsumeb in Namibia – ihren Ursprung in kolonialen und von Ausbeutung gekennzeichneten Kontexten haben, ist das bei der Sudanarchäologischen Sammlung anders. Die Objekte sind auf Grundlage von Verträgen zwischen der sudanesischen Altertümerverwaltung und dem Grabungsprojekt vor 1975 nach Berlin gekommen. Die Sudanarchäologische Sammlung der Humboldt Universität umfasst keine Unikate oder außergewöhnliche Fundstücke. Sie dient vor allem Lehr- und Forschungszwecken und umfasst mehrere hundert archäologische Objekte, darunter dekorierte Architekturteile, Teile von Tempelinventar, Gefäße, Perlen, Amulette, Werkzeuge und Waffen aus dem antiken Sudan, fast ausschließlich aus Musawwarat es-Sufra.

© Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Archäologie, Sudanarchäologische Sammlung & Archiv / Foto: Ursula Hintze

Arbeiten am Tempel, 1960

Ein früher Fund entschlüsselte die Ursprünge des Tempels

Die Objekte und Archivalien der Sammlung, die im Humboldt Labor gezeigt werden, geben Einblicke in den Beginn der Forschungen vor Ort. Fritz Hintzes archäologisches Feldtagebuch dokumentiert die Ausgrabung und deren wesentliche Ergebnisse, während Ursula Hintze in ihrem persönlichen Tagebuch lebendig das Drumherum schilderte. Ihre Notizen zeigen: Am Tag der Entdeckung war die Stimmung euphorisch. „Das Tagebuch zeugt von der Begeisterung des Teams über diesen frühen Erfolg der Grabung. Das ist ein schöner, wichtiger Moment“, sagt Cornelia Kleinitz. An diesem „großen Tag“ fand Fritz Hintze im Versturz eines antiken Tempels einen Sandsteinblock mit zwei sogenannten Königskartuschen, ovalen, eingravierten Linien, die Namen von Herrschern umschließen – in diesem Fall des Königs Arnekhamani (um 220 v.u.Z.). „Damit wurde das Rätsel um die chronologische Einordnung des Tempels und seines Bauherrn gelöst“, erklärt die Archäologin.

Andere Reliefteile wiesen auf den Kultherren des Tempels, den löwenköpfigen Gott Apedemak hin. Der Apedemak- oder Löwentempel von Musawwarat, dessen Wiederaufbau von der DDR finanziert wurde, ist somit der überhaupt älteste bekannte Bau für diesen lokalen Gott und ein wichtiger Teil eines Ensembles von monumentalen Bauten im Tal Musawwarat es-Sufra. Sie stammen aus der Zeit des Königreichs von Kusch (8. Jhd. v.u.Z bis 4. Jhd. n.u.Z.) im Norden des Sudan. Seit 2011 ist der Sakralort Teil des UNESCO-Weltkulturerbes.

Wissenschaftsgeschichte aus Frauensicht

Zu den für die Auftaktausstellung des Humboldt Labors ausgewählten Archivalien gehören neben Tagebüchern auch Fotos von Ursula Hintze. Ursula Hintze entwickelte ihre Fotos vor Ort selbst – unter extremen klimatischen Bedingungen wie Hitze und Trockenheit. „Sie hat eine wesentliche Rolle bei der Organisation und Dokumentation dieser Grabung gespielt“, unterstreicht Cornelia Kleinitz. Die Afrikanistin hat gefilmt, fotografiert, geschrieben und schnell die lokale Sprache gelernt, um mit den Partnern kommunizieren zu können.

Am Beispiel des Ehepaars Hintze zeige sich exemplarisch, dass das Verdienst von Frauen als Wissenschaftlerinnen oder Co-Wissenschaftlerinnen häufig unterschätzt werde, sagt Gorch Pieken. Das Humboldt Labor will die Rolle von forschenden Frauen beleuchten – und Wissenschaftsgeschichte kritisch hinterfragen. „Die Sammlungen bestehen aus vielen Auslassungen und machtvollen Repräsentationen. Bestimmte Dinge sind hervorgehoben und als wichtig markiert. Das sind häufig die wissenschaftlichen Leistungen von Männern.“ Man könne schon von einem „akademischen Patriarchat“ sprechen, das längst nicht überwunden sei. „Das sehen wir beispielsweise auch daran, dass der Frauenanteil innerhalb der deutschen Professorenschaft bei nur 25 Prozent liegt“, sagt der Leitende Kurator. Um Ursula Hintzes Rolle hervorzuheben und nachträglich zu würdigen, wurde für die Ausstellung eine fiktive Sonderbriefmarke kreiert. Sie zeigt die Afrikanistin bei der Arbeit mit Hut, Sonnenbrille und ihrem Fotoapparat in der Hand.

© Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Archäologie, Sudanarchäologische Sammlung & Archiv

Ursula Hintze im Fotolabor

Sammlung zugänglich machen

Nachdem sie viele Jahre im Magazin lagerten, sind Teile der Sudanarchäologischen Sammlung nun in neuen Arbeits- und Depoträumen sowie bald auch in einem Ausstellungsraum im Westflügel des Hauptgebäudes der Humboldt-Universität für Studierende, Forschende und die Öffentlichkeit zugänglich. Im Humboldt Labor werden auch Scherben eines großen Gefäßes von einer vermutlichen Opferstelle am Löwentempel präsentiert. Heute wird diese Keramik mit neuen Fragestellungen und Methoden beforscht und kann zum Beispiel helfen, einheimische afrikanische Elemente kuschitischer Kultpraktiken zu identifizieren.

Die Humboldt-Universität engagiert sich auch heute noch in Musawwarat es-Sufra. „In den vergangenen Jahren haben wir einen Fokus auf Kulturerhalt gelegt“, erzählt Cornelia Kleinitz. So seien Konservierungs-, Restaurierungs- und Schutzmaßnahmen durchgeführt sowie eine Wegeführung für Besuchergruppen angelegt worden. „Jetzt müssen wir nur noch die Informationstafeln anbringen.“

© Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Archäologie, Sudanarchäologische Sammlung & Archiv / Foto: Alvaro Minguito

Teil eines Uraeenfrieses, aufgenommen im Jahr 2020