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© Stiftung Schloss Friedenstein Gotha / Humboldt-Universität zu Berlin / Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, digitale Reproduktion: Philipp Jester | Jens Blank

Auf den Spuren des Ur-Sauriers

Orobates pabsti lebte vor 300 Millionen Jahren. Anhand eines 3D-Modells seines Skeletts zeigt das Humboldt Labor, wie moderne Spitzenforschung aussieht. Die Forschenden rekonstruierten die Fortbewegung des Ur-Sauriers.

Gelbe Wirbelsäule, roter Kopf und zwei blaue Füße: Im Gegensatz zu den fahlen Saurier-Skeletten aus Museen leuchtet das Modell des Orobates pabsti in mehreren Farben. Das hat einen Grund. Das an ein Reptil erinnernde Modell, das im Humboldt Labor zu sehen sein wird, versinnbildlicht, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten, erklärt John Nyakatura, Juniorprofessur für Morphologie (Zoologie) und Formengeschichte an der HU. „Das montierte Skelett veranschaulicht unsere Vorgehensweise bei der Rekonstruktion und zeigt, dass wir transparent mit Unsicherheiten umgehen“, sagt der Biologe, der zusammen mit dem „Biorobotics Laboratory“ der EPFL in der Schweiz die Fortbewegung des Sauriers untersuchte.

Gefunden wurde das knapp 300 Millionen Jahre alte Fossil des Orobates pabsti im Thüringer Wald. Ausgehend von den erhaltenen Knochen versuchten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen herauszufinden, wie das vollständige Skelett des Ur-Sauriers ausgesehen hat – um ausgehend davon seine Fortbewegung zu erforschen.

Unsicherheit wird sichtbar gemacht

In dem rekonstruierten 3D-Modell steht die rote Farbe für Teile, die anhand des CT-Scans des Fossils angefertigt wurden, erklärt Nyakatura. Die Scans seien nötig gewesen, weil bei einem so alten Fossil der Knochen nicht mehr von der umgebenden Gesteinsmatrix getrennt werden könne. Die blauen Teile des Modells stehen für Spiegelungen der roten, berichtet der Wissenschaftler. „Das ist ein Trick, der in der Paläontologie gerne angewandt wird.“ Denn man könne davon ausgehen, dass das Skelett eines Wirbeltieres annähernd symmetrisch aufgebaut sei.

Bei den gelben Teilen des Modells hingegen bestehe eine gewisse Unsicherheit. Denn sie beruhen nicht auf harten Daten, sondern auf dem, was die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aufgrund unterschiedlicher Indizien für plausibel halten.

Eine Mischung aus sicheren und weniger sicheren Daten sei bei der Montage von Skeletten üblich, sagt Nyakatura. Das sei auch bei Dinosaurier-Modellen in Naturkundemuseen nicht anders. „In den allermeisten Fällen sind nur Bruchstücke von Skeletten erhalten, wirklich vollständig sind sie fast nie.“ Normalerweise aber werde nicht transparent gemacht, welche Teile wie rekonstruiert wurden. Versteinerte Fährtenabdrücke des Ur-Sauriers hatte der Gymnasiallehrer und Kustos Wilhelm Pabst Anfang des 20. Jahrhunderts bei Gotha gefunden. Nach ihm wurde der Orobates pabsti benannt, dessen Fossil 1996 entdeckt wurde. „Evolutionsbiologisch ist der Orobates pabsti ein interessanter Fall, weil er den Übergang von amphibischen Wirbeltieren zu vollständig ans Leben an Land angepassten Formen bildet“, erklärt Nyakatura.

Die Rekonstruktion gibt Hinweise auf Evolution von Wirbeltieren

Amphibien legen Eier, aus denen im Wasser Kaulquappen schlüpfen. Aus den Eiern von Amnioten, sogenannten Nabeltieren, geschlüpfter Nachwuchs hingegen kann direkt an Land leben. „Sie müssen nicht mehr im Tümpel schwimmen, sondern haben ihren privaten Teich im Inneren des Eies“, sagt Nyakatura. Der Orobates pabsti markiere diesen Übergang. Er ist der engste bekannte fossile Verwandte des letzten gemeinsamen Vorfahren aller heute lebenden Nabeltiere. Aus seiner Erforschung können Rückschlüsse auf den Ursprung der großen Gruppe der sogenannten Nabeltiere gezogen werden. Zu ihnen gehören zum Beispiel Echsen und Schlangen, Vögel und Säuger – also auch Menschen.

Wie der Orobates pabsti sich fortpflanzte, wisse man nicht, sagt Nyakatura. Aber durch die Analyse seiner Fortbewegung ließen sich Hinweise finden: Wie weit waren die Strecken, die er möglicherweise zurücklegte? War er noch an offene Gewässer gebunden?

Ausgehend von dem Skelett-Modell und Fährtenplatten wurde versucht, seine Bewegungen zu rekonstruieren. Eine Besonderheit sei, dass dabei viele unterschiedliche Disziplinen und Techniken zusammenwirkten, darunter die Paläontologie, Zoologie, Biomechanik, biologisch inspirierte Robotik sowie 3D-Computeranimation, erklärt der Wissenschaftler. Beteiligt waren Forscherinnen und Forscher aus Jena, Lausanne, Hamburg und London.

Ein Ansatz war die Entwicklung eines Roboters, der die rekonstruierte Bewegungsform des Orobates pabsti unter echten physikalischen Bedingungen testet. Dieser „OroBOT“ wurde gemeinsam mit dem Fossil und dem 3D-Modell 2016 in einer Ausstellung im Tieranatomischen Theater der Humboldt-Universität in Berlin und im Phyletischen Museum in Jena gezeigt.

Modelle spielen eine zentrale Rolle in der Wissenschaft

Das 3D-Skelett zeige, dass Modelle in Fragen der Anschauung und Didaktik viel aufschlussreicher sein können als das Original, betont Dr. Gorch Pieken, Kurator der Ausstellung im Humboldt Labor. Auch weil die Rekonstruktion den Forschungsprozess genau abbildet.

© Stiftung Schloss Friedenstein Gotha / Humboldt-Universität zu Berlin / Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, digitale Reproduktion: Philipp Jester | Jens Blank

In der Schau bekommt das Modell einen besonderen Platz: Als eines von 38 ausgewählten Ausstellungsstücken wird es an einem Pantografen im Ausstellungssaal hängen. Gleich daneben werden auch die versteinerten Fußabdrücke des Ur-Sauriers zu sehen sein. Der Orobates sei auch deshalb so spannend, weil die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler versucht haben, an seiner Erforschung methodische Maßstäbe zu setzen, erklärt Nyakatura. Es gehe darum, durch verschiedene Ansätze den Raum der Möglichkeiten einzuschränken, bis sich die plausibelste Fortbewegungsart herauskristallisiere. Statt dogmatisch eine Theorie zu verfechten, solle transparent gemacht werden, was die Wissenschaft weiß und wo Unsicherheiten herrschen. Das Orobates-Skelett verdeutliche diesen Ansatz, zu dem auch die Offenlegung aller Daten im Sinne des „Open-Science-Ansatzes“ gehöre. „Wir hoffen, dass diese Art des Forschens immer mehr zum Standard wird“, sagt Nyakatura.